Presse und Texte

Halbiert, zerrissen und geknickt 
 
Mit Büchern lässt sich bekanntlich vieles anstellen: Man kann sie aufstellen, abstauben, sammeln, verschlingen, horten, lesen, zensieren und verschenken.

Aber all das tut Ursula Traschütz nicht. Sie zerfleddert, reißt, schneidet, biegt, knickt und zerknittert Buchseiten und fertigt Objekte, die ihre ganz eigene Poesie entfalten. Viele der Papierkunstwerke wirken so zart und leicht, als seien sie von Elfen erschaffen worden und nicht von einer Frau mit reichlich Wut im Bauch, aber glücklicherweise noch mehr Humor.
Während Männer in vergleichbarer Situation gerne zu etwas 20 Jahre jüngerem in Blond greifen, griff die ausgebildete Theater- und Sozialpädagogin in schlaflosen Nächten zur Lektüre. Bestärkung gaben ihr jedoch keine schlauen Trennungsratgeber, sondern unzählige vergilbte Seiten. Alte Bücher hätten schon in ihrer Kindheit eine starke Faszination auf sie ausgeübt, erzählt die gebürtige Heidelbergerin. Ursprünglich habe sie sich in dem Zusammenhang mit der Frage beschäftigt, ob sich das Vergilbte wohlmöglich auch auf des Menschen Seele lege. Von Papierkunst war sie bis vor kurzem indes weit entfernt. Nach verschiedenen Tätigkeiten im Sozialpädagogischen Bereich unter anderem in der Psychiatrie beschloss sie vor zehn Jahren zunächst einmal Geschäftsfrau zu werden. Beseelt von der Idee, „nur schöne Dinge“ anbieten zu wollen, eröffnete sie einen Steinwurf vom Weißhaus-Kino entfernt ihren Laden „Shalima“, wo sie neben dem Verkauf von Mode damit begann, Objekte aus Haushaltsgegenständen herzustellen. Vor dem Hintergrund dass das, „was Hausfrauenleisten, kaum oder gar nicht zur Kenntnis genommen wird“, schuf sie ironisch-witzige Skulpturen aus Teebeuteln, Butterbrottüten oder Backpapier.
Vielleicht erscheinen die kleinen und auch die großen Kunstwerkeauch deshalb so leicht, weil darin keine Anklagen oder Vorwürfe zu sehen sind. Die Mutter von drei Söhnen (und Großmutter eines Enkelkindes) spielt mit Wörtern und mit Gefühlszuständen. Das tut sie vor allem bei ihren Papierarbeiten, die auch dem Umstand zu verdanken sind, dass das Ladenlokal zuvor ein Buchantiquariat beherbergte und der Besitzer froh war, den Keller nicht leerräumen zu müssen. „Wortwiese“, „Literaturfraß“, Blattwerk und anderen Skulpturen ist eines gemein: Sie bestehen fast aus schließlich aus dem, was Bücher hergeben. Momentan arbeitet Traschütz an ihrem „Facebook“, einem Buch, dessen Seiten wie ein Gesichtsprofil zugeschnitten sind. „Als ich einmal damit begonnen habe, war das für mich wie eine Explosion. Es kam regelrecht was in Fluss, und ich bin froh, dass es weiter sprudelt.“


Apropos sprudeln: Sollte jemand außer vergilbten Büchern ein scharfes Chirurgenmesser abzugeben haben, könnte die Papierkünstlerin den operativen Bereich ihrer Tätikeit erheblich beschleunigen.
 
 
Text von Susanne Hengesbach Kölner Stadt Anzeiger 2011

 


 

Beim Betrachten der Arbeiten von Ursula Traschütz fällt einem unweigerlich das Büchlein "Über die Verfertigung der Gedanken beim Sprechen" ein, nur dass es hier heißen muss: Über die Verfertigung von Gedanken beim Gestalten. Vielen Objekten liegt ein Gedanke zugrunde, der, in eine plastische Form gebracht, augenzwinkernd unser Leben und den Alltag kommentiert, mit Humor aufhellt und uns auf eine andere Fährte bringt.

Die Sprache und objets trouves sind das Material dieser aus unbedingter Gestaltungslust entstandenen Objekte und Assemblagen, die Dinge des alltäglichen Lebens in neue Zusammenhänge bringen. Ihre Objekte sind sinnlich und laden zum Berühren geradezu ein.

Dabei ist es ihr Gefühl für Proportionen und ihre Variationsbreite, das die Objekte stark genug macht, um auch in Reihen als Einzelnes nicht verloren zu gehen. Erst waren Gegenstände des Haushalt das Ausgangspunkt ihrer Metamorphosen; Variationen zum Thema: mein Leben und ich.

Da steht sie in einer guten Tradition, auch eine Louise Bourgeois hat am Anfang ihrer Karriere ihr Leben als Hausfrau und Mutter thematisiert. Die Assemblage und die Objektkunst sind Kunstformen der Moderne, voraus gegangen waren Kubismus, Dadaismus und Marcel Duchamps Ready.mades.

Uns so gesehen fährt ein Weg von Pablo Picassos Stierschädel zu Ursula Traschütz`" El Torro". Ihre Objekte sind unaufgeregt und humorvoll, und da Humor in der Kunst ein seltenes und nicht hoch genug zu schützendes Gut ist, bilden ihre Arbeiten eine Ausnahme in der allzu oft bemüht ernsten Objektkunst.

Ursula Traschütz ist souverän genug, um sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, aber mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit vor zugehen. Ihre Assemblagen, Objekte und Objektkünsten sind Ausblicke, die Einblicke ermöglichen. Sie sind Inseln im Alltag, die Momente des Schauens, Reisens, Stillwerdens, Verweilens und Staunen bieten. Es war die Zeit des Absolutismus, als die Sammelleidenschaft begann, man Dinge vor dem Verschwinden bewahren wollte und sie in Sammlungen neu zusammenfügte. Und vielleicht ist das ja unsere Älteste Kunst, entstand dennoch vor den Höhlenmalereien von Lascaux und Altamira. Die neuere Forschung legt nahe, dass der Mensch ein "Ufertier" ist und am Ufer von Bächen und Flüssen zum "Mensch" geworden ist.

Vielleicht waren das die ersten Äußerungen von menschlicher Kunst: Objekte und Assemblagen, aus dem gefertigt, was das Wasser anschwemmte, aus Muscheln, Hölzern und Steinen. Kunstdinge, die dem menschlichen Bedürfnis nach Ausdruck, Sammlung und Gestaltung entsprachen. Aber wie alles, was unter der Sonne lebt, war das eben vergänglicher als die Malereien den Höhlen von Lascaux und Altamira. Und auch sie existieren nur noch, weil sie unzugänglich sind und wir sie uns eben nicht anschauen können. Es ist das Vergängliche, das uns zugänglich ist. Es ist die Verwandlung, die uns entspricht.

Im Werk von Ursula Traschütz spielen Transformation und Metamorphose die entscheidende Rolle. Das zeigt sich besonders schön in ihren Buchobjekten. Es sind alte Bücher aus dem Keller eines Antiquariats, die sie ihren Verwandlungen unterzieht. Sie sind alt und die, die sie einst gelesen haben, sind vielleicht längst tot. Zwischen Ihren Deckeln verborgen liegt das Eigentliche und das bringt sie in einer neuen Sinnhaftigkeit ans Licht. Hier ist es nicht das geschriebene, das interessiert, nicht sein Sinn, sondern die formalen Möglichkeiten eines Objekts werden ausgelotet, um in einer neuen Form sinnhaft zu sein.

Der Philosoph Volker Böhnigk schreibt: Man kann die Realität von Kunstwerken an vielerlei abmessen: an der Dauerhaftigkeit und Qualität ihrer Wirkungen, an der Tiefe der von ihnen geforderten Reaktion, an der Art und Vielfalt der Werte, die sie besitzen, an der Aktualität ihrer Präsenz zu Raum und Zeit, an der Fülle und Zuverlässigkeit, der Sinneswahrnehmung einerseits und ihrer abstrakten Allgemeingültigkeit andererseits. In Ursula Traschütz`Arbeiten kann man all das erleben.

Christel Aring August 2013

 

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